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Wir müssen beide noch lernen…

Verhaltene Stille. Denn ich hab gesagt „… aber unser Ältester lebt nicht mehr.“ Ich mag peinliche Pausen nicht, an denen ich irgendwie „schuld habe“. Mag es nicht, wenn sich Menschen wegen mir unwohl oder schlecht fühlen. Außer vielleicht ich habe einen explosiven Tag.

Viel zu oft passiert mir das. Ich unterhalte mich mit jemandem, den ich noch nicht so gut kenne. Man tauscht sich aus. Wie das eben so ist. Man fragt gegenseitig kurz das Leben ab. „Und was machst du so?“ Ich erkläre und lausche, was mein Gegenüber so tut. „Ah du hast Kinder? Ich auch. Zwei. Du?“ – Bäääm! Da ist es schon… Ich hab mir angewöhnt, mich nicht mehr hin- und herreißen zu lassen. „Ich hab vier Kinder.“ Anders kann ich es nicht sagen, hab ich gemerkt. Aber eben „… unser Ältester lebt nicht mehr.“

Je nachdem welche Reaktion folgt, kann ich mir nicht helfen. Ich fühle mich irgendwie schuldig. Schuldig, jemanden in diese doofe Lage gebracht zu haben, mit mir über ein Thema zu sprechen, das ihr unangenehm ist. Schuldig, jemandem, der gerade von sich erzählt hat, einen Dämpfer zu verpassen, sodass das Gespräch nun unangenehm unterbrochen ist. Ich fühle mich schuldig, jemanden in die Position versetzt zu haben, für etwas Worte zu finden, über das er noch nie so wirklich nachgedacht hat.

So beginne ich, mich zu entschuldigen. Sage Sachen wie „Ist schon okay. Das bin halt ich. Aber zurück zu dir.“ Sage „Ist nicht so wild. Jeder hat sein Päckchen zu tragen. Wir kommen klar.“ Ich relativiere. Fange aus Verlegenheit an zu vergleichen „Naja, manche haben es noch schwerer.“ Warum tu ich das? Ich halte doch nichts vom Vergleichen…

Es nervt mich an mir selbst, dass ich mich für etwas entschuldige, was ich mir nie ausgesucht habe, und für was ich nichts kann. Aber ich entschuldige mich, weil es einen anderen peinlich berührt. Weil ich merke, dass es negative Gefühle auslöst oder die Stimmung drückt. Ich entschuldige mich, weil ich mein Gegenüber für einen Moment eiskalt erwischt und mit diesem unangenehmen Thema aus dem Konzept gebracht habe.

Zum einen ist das eine Sache, die zu allererst sehr viel mit mir zu tun hat. Und doch kann der weitere Verlauf eines solchen Gesprächs und die Frage, ob und wie ich mich entschuldige, nicht nur einzig und allein durch mich geregelt werden. Es gibt Reaktionen, die machen mir unmissverständlich klar, dass es gut ist, das Thema zu wechseln, weil mein Gesprächspartner noch nicht in der Lage ist, sich gedanklich und emotional näher auf den Tod einzulassen.

Umso mehr schaffen für mich Fragen wie „Ist es okay, wenn ich frage, was passiert ist?“ oder „Das tut mir leid. Darf ich fragen, was war?“ einen Weg, den Sachverhalt auf eine für mich (und ich glaube auch für mein Gegenüber) angenehme Weise zu erklären. Sodass es möglich ist, dass wir auch schnell wieder bei den anderen Kindern sind. Dass wir über unsere Hobbys reden, über meine Zukunftspläne und darüber, was die andere Person noch so für Träume hat.

Und ich sehe, wir müssen beide noch lernen – die Gesellschaft und ich. Lernen, dass der Tod etwas ist, worüber man reden darf – worüber man reden sollte. Weil das Sterben genauso zum Leben gehört wie das Geborenwerden. Und die Traurigkeit genauso wie die Freude. Und dass man beides meist gar nicht so leicht voneinander trennen und in Schubladen schieben kann, wie man es sich oft wünschen würde. Weil das alles komplexer ist – und man am ehesten eine Basis schafft, die auf gegenseitigem Verständnis beruht (viel mehr auf Verständnis als auf Verstehen), wenn man redet und zuhört – einfach zuhört und redet.

Foto: Caroline Rosenau – Liquid Filmproduktion

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Julia ist Jahrgang 1981. Vor Jahren hat sie mal das Übersetzerhandwerk gelernt, heute schreibt sie Lieder und arbeitet als Sängerin und Stimmtrainerin. 2011 wurde bei ihrem ältesten Sohn Jona ein Hirntumor, genauer bezeichnet als Medulloblastom, festgestellt. Seit seinem ersten Rückfall schreibt sie ihre Gedanken in Form eines Blogs nieder. Zimmerpflanzen mag sie eigentlich gern, hat ihren Kopf aber lieber in Liedern und ihre Finger am Klavier, sodass diese in ihrem Haus meistens kein allzu langes Leben haben. Kuchen bäckt sie so ungern, dass, wenn sie’s doch mal tut, der Rest der Familie fragt, wer denn Geburtstag hat. Sie wünscht sich, sie könnte besser schwimmen, ist aber doch nicht ehrgeizig genug, weil sie sich eigentlich mit Boden unter den Füßen am wohlsten fühlt. Und es geht ihr wie so vielen Müttern auf dieser Welt: Sie ist einfach gern allein – und ist sie’s dann tatsächlich, fühlt sie sich doch, als würde ihr ein Bein fehlen. Mit ihrem Mann, Jonas drei Brüdern und dessen Hund Mia lebt sie in Ravensburg.