Gleisstörung, Schrankenstörung, Verzögerung. Meine Freundin schickt mir eine Sprachnachricht aus dem Zug, in dem sie nun endlich sitzt. „Trotzdem einen entspannten Morgen“ wünscht die Deutsche Bahn, so erzählt sie mir. Ich schick ihr gleich mal das Lied von den „Wise Guys“. Sie kennt es schon. Wie auch nicht… sie fährt ja viel Zug, und neu ist das ja auch nicht, dass die Bahn Probleme mit der Pünktlichkeit hat.
„Trotzdem einen entspannten Morgen.“ Ist das ein Befehl? Ob der Morgen jetzt trotzdem entspannt werden darf, das möchte ich eigentlich ganz gern selbst entscheiden. Ich möchte gerne selbst entscheiden, ob ich das gut finde, wenn ich den Anschlusszug und dann den Flieger verpasse und dann die Person, mit der ich mich treffen wollte, wieder weg ist. Meeting futsch. Geschäft dahin. Wer weiß…
Nicht dass ich falsch verstanden werde – denn ich gehöre in der Regel schon zu der Sorte Menschen, die sehen, dass das Glas halb voll ist. Aber wenn mein Getränk schon zur Hälfte verschüttet ist, dann möchte ich wenigstens selbst entscheiden dürfen, wie rum ich’s sehe…
„Das tut mir leid, aber…“ Warum passiert das so oft, dass man für einen anderen feststellt, dass etwas nicht gut läuft, aber nicht wirklich Raum für Gefühle zugesteht – Gefühle der Trauer, der Wut, der Enttäuschung. Und so ist das nicht selten, dass gerade Menschen, die sich in einer Situation befinden, in der sie eigentlich nur jemanden nötig hätten, der im Dunkeln mal ein Stückchen mit ihnen geht, dass gerade diese Menschen mit noch mehr Druck konfrontiert werden, als ihre Lage ohnehin schon verursacht.
Statt dass man sagt „Ich bin da.“ sagt man „Schau doch, es könnt noch schlimmer sein.“ „Du wirst stark werden, wenn du da durch bist.“ „Da vorne kommt wieder Licht.“ „Du bist so stark. Du schaffst das!“ „Schau mal, was du schon alles gemeistert hast. Kopf hoch!“ „Seh’s positiv!“ Denn haben wir das nicht alle gelernt? An der Kasse im Supermarkt „Nein, nicht weinen… Die Kinderschokolade an der Kasse kaufen wir nicht. Daheim bekommst du ein Eis!“ Oder im Sport „Zieh noch durch, die letzten Meter auf der Zielgeraden. Du schaffst das!“ Haben wir das nicht alle gelernt? Aber das Leben ist halt doch keine Supermarktkasse und auch kein 400-Meter-Lauf.
Sich in Dankbarkeit üben. Ich weiß, das ist gerade im Trend. Und ich bin auch ganz der Meinung, dass das gut ist und gesund. Aber Traurigkeit, Niedergeschlagenheit – das ist nicht das Gegenteil von Dankbarkeit. „Ein Glück, du hast noch Kinder! Sei froh!“ Ja, ich bin froh. Nicht, dass ich noch Kinder habe. Sondern, dass ich diese Kinder habe. Und ja, vielleicht bin ich durch sie mehr abgelenkt – aber deswegen bin ich nicht weniger traurig. Und auch diese Kinder, die mich in den Augen mancher trösten können, die haben einen Bruder verloren.
Warum reden wir so – so „Trotzdem…“ und „…, aber“? Wahrscheinlich weil wir wollen, dass alles so unkompliziert wie möglich ist. Dass alles gut wird. Höher, schneller, weiter, besser – so leben wir doch, oder? Wir wollen „Veränderung zum Positiven“? Aber was ist das überhaupt – „das Positive“?
„Pass auf, dass du nicht bitter wirst!“ habe ich schon gehört. Vielen Dank! Ich passe auf. Und – ich bin nicht bitter, ich sage nur, wie es ist. Und ich schütze mein Herz, denn es ist schon ziemlich gebeutelt. Und ich habe gemerkt, dass Veränderung am besten möglich ist, wenn einer mit mir geht, der mich hält und mich versteht. Dann seh ich meist von selbst wieder das Licht.
Kopf-hoch-Sätze (von denen ich mindestens auch schon so viele gesagt habe, wie ich gehört habe) haben möglicherweise ihre Berechtigung. Nur ab und an ist es auch gut, sich zu fragen, warum man sie sagt und worauf man letzten Endes hinauswill.
Und dann wird er vielleicht doch noch entspannt und gut, oder sogar besser als erwartet – der Morgen…